Ich bin kürzlich über den Startup Chat Podcast auf das Konzept der Messy Middle aufmerksam geworden. Dabei geht es um die Phase in der Geschichte eines Unternehmens zwischen der Anfangszeit und dem Ziel, was auch immer letzteres bedeutet.
Der Beitrag hat mich an so vieles erinnert, was wir selbst bei Advanced Ads gerade durchmachen, dass ich mir die Inhalte einmal strukturiert festhalten wollte.
Was ist die Messy Middle Phase?
Im Podcast wird diese Phase auch als “awkward teenage years” bezeichnet. Die Anfangsphase mit der Ideenfindung und Produktentwicklung liegt hinter uns, die ersten Kunden sind an Bord und das Team ist schlagkräftig.
Am anderen Ende, da wo wir hin wollen, warten “hyper scale and hyper growth or where you’re now a super mature, super stable business.”
Der Name Messy Middle stammt von Scott Belskys gleichnamigem Buch. Seinen entsprechenden Vortrag auf Youtube habe ich mir ebenfalls und kann ihn zusätzlich zum Podcast empfehlen.
Umschwung
Das Besondere an dieser Phase ist der Umschwung. Was einen hierher gebracht hat kann einen nicht weiter bringen. Zu Anfang hat man viel ausprobiert, ist von Aufgabe zu Aufgabe gesprungen, hat Entscheidungen nach Bauchgefühl getroffen und damit noch recht wenig bewegt.
Je mehr Kunden, Mitarbeiter und Partner später involviert sind, desto weniger sprunghaft darf man sein. Das wird alle nur irritieren. Die kurzfristige Planung muss nach und nach durch eine langfristige ersetzt werden. Dazu gehören “Investitionen” jeglicher Art.
In unserem Fall beziehe ich das auf Updates unserer Software und neue Funktionen. Zu Beginn war es richtig und wichtig Nutzer und Kunden durch umfangreiche und besondere Funktionen zu gewinnen. Mittlerweile müssen wir aufpassen, dass neue Funktionen oder Änderungen im Interface nicht für zu viel Verwirrung bei den Bestandsnutzern führen. Hier sind klare Richtlinien für Änderungen notwendig und diese zu erstellen und durchzusetzen ist Teil dieser mittleren Phase.
Aufräumen
Ein Aspekt dieser Umschwungphase ist das Aufräumen und beseitigen alter Fehler. Das betrifft bei einer so stark auf Programmierung ausgelegten Firma insbesondere die Technische Schuld (technical debt).
Ich habe bewusst viele (Software-)Design-Entscheidungen verkürzt um das Produkt an den Markt zu bringen und dort zu verifizieren. Das bereue ich an sich auch nicht, hätte es uns doch wertvolle Zeit gekostet es gleich “richtig” zu machen.
Jetzt, wo wir am Markt etabliert sind, geht es darum zu entscheiden, welche technische Schuld wir beheben. Das ist nach wie vor ein Abwägungsprozess, da Ressourcen immer noch begrenzt sind.
In unserem Fall betrifft das zum Beispiel die automatische Kontrolle der Codequalität, so dass diese gewährleistet ist, egal wer im Team eine Änderung vornimmt. Weiterhin ist es notwendig, das Spezialwissen einzelner Teammitglieder, etwa zur Veröffentlichung einer neuen Version, zu a) automatisieren und b) dokumentieren.
Hingegen schreiben wir nur jene Teile der Software um die aufgrund technischer Schuld drohen nicht mehr zu funktionieren oder an denen eh aus anderen Gründen umfangreiche Arbeiten nötig werden.
Fazit: Die mittlere Phase ist geprägt von einem ständigen Aushandlungsprozess zwischen neuen Dingen die Wachstum bringen und dem Beheben technischer Schuld.
Bessere Informationen
Wenn wir unsere Ressourcen besser steuern wollen dann benötigen wir Informationen darüber, was funktioniert und was nicht. Tests sind nach wie vor möglich, aber sie müssen klare Vorgaben haben und die Ergebnisse müssen möglichst quantitativ ausgewertet werden (können).
Wir haben kürzlich damit begonnen die bisher erfassten Zahlen zu hinterfragen und so zu überarbeiten, dass wir aus ihnen ein Optimierungspotential ableiten können. Praktisch wollen wir den gesamten Sales-Funnel für alle im Team berechenbar machen.
Bei der Weiterentwicklung des Produktes wollen wir höhere Maßstäbe setzen. Dazu gehören UI-Tests und Gespräche mit Nutzern.
Die mittlere Phase ist auch ein Zeitpunkt um wesentliche Teile des Unternehmens zu hinterfragen. Was uns die ersten 10 Kunden gebracht hat wird uns vielleicht noch die weiteren 100 bringen, aber nicht die 10.000 oder mehr.
In unserem Fall müssen wir neue Vertriebskanäle aufbauen um nicht nur mit dem Markt zu wachsen. Dazu gehören auch scheinbar banale Änderungen wie der öffentlich sichtbare Wechsel von einem Einzelentwickler zum Team. Aktuell treten wir noch vielfach so auf als sei ich allein.
Anforderungen an das Team
In der Anfangsphase braucht man ein Team an Generalisten mit viel Energie, die sich in unterschiedliche Bereiche einarbeiten und dabei Spaß haben. Dennoch bleibt man meist bei dem, was man schon kann. Das betrifft etwa die Marketingkanäle oder die eingesetzte Technik.
Wenn es in der mittleren Phase darum geht strukturierter zu arbeiten dann gehen damit mehr Planungs-, Verwaltungs- und Dokumentationsaufgaben einher. Das liegt nicht jedem. Ich schließe mich hier explizit ein.
Der Fokus ändert sich auch beim Einstellen von neuen Mitarbeitern. Statt der Universalgenies sind Kollegen notwendig, die sich durch wiederkehrende und nicht immer motivierende Aufgaben beißen. Das sind im besten Fall Leute mit Erfahrung in allen Phasen eines Unternehmens, die wissen, was auf sie zukommt. Diese Leute sehen die Chancen hinter dem Chaos und sehen die Herausforderung darin, es zu entwirren und das Unternehmen anhand des gelernten zu skalieren.
Messy Middle als Marathon
Steli vergleicht die mittlere Phase in erwähntem Podcast mit einem Marathon. Der Vergleich ist so gut, dass ich ihn hier fast ungekürzt wiedergeben möchte.
At the beginning you’re probably full of excitement when you start running a marathon. It’s finally there, the day you’ve trained for, dreamed of. And now you’re starting off, you have all the energy, all the passion, your dreams, the excitement, the adrenaline. That’s an awesome phase. The final phase might be painful, but you know you’ve basically done it and all you have to do is keep going. […] But the middle part is probably emotionally, mentally the toughest to break through because in the middle part of the marathon, you’ve already run a lot. You’re probably now in pain, you probably have gotten some small injury. It’s probably raining. There’s like all these magical reasons show up for you to want to quit. And that’s probably where you’re in a dialogue that’s the strongest telling you this sucks. I should try another day. I might get hurt. I have this injury, it might get worse, my legs, this, that, and the other. You have all these good excuses and good reasons to quit and you’re so far from the … You only hit the middle. So you know you have to do it all over again. So it’s just mentally really, really draining and that’s kind of a perfect spot to want to quit or to go overly negative in your head and just see everything that sucks and just be overly critical of everything.
https://thestartupchat.com/ep461/
Meine Herausforderung
Ich weiß schon seit einiger Zeit, dass ich eher der Gründer bin als der Verwalter. Ich mag es, Neues auszuprobieren und verschwende ungern Zeit mit Dingen die langfristig notwendig sind, bevor es eine Zukunft für eine Idee gibt.
Jetzt, wo klar ist, dass wir einen Markt haben und sich die Firma mit acht Mitarbeitern etabliert hat, geht es darum, diese Langfristigkeit zu sichern. Diese Phase ist für mich sowohl organisatorisch wie emotional Neuland und genau darin habe ich für mich eine Herausforderung entdeckt an der ich arbeiten will. Hier entscheidet sich auch, ob ich der richtige für die Aufgabe des Geschäftsführers bin oder ob über kurz oder lang doch jemand anderes diese Rolle einnehmen sollte.
It’s your f…ing job!
Scott Belsky
Statt mich zu beschweren, dass etwas nicht funktioniert und dann lieber etwas Neues zu beginnen, geht es jetzt darum, konsequente Entscheidungen zu treffen und die Sachen entweder systematisch zu beheben oder ganz als Ballast abzuwerfen. Dabei treibt mich die Vision an eine Firma aufzubauen, die ohne mich funktioniert. Das hat schon einmal eher zufällig geklappt. Jetzt möchte ich mir beweisen, dass ich diesen Erfolg auch planen und vorbereiten kann.