Gerade wer sich in einer „modernen“ Branche wie der IT oder im Web selbstständig macht kennt die besorgten Fragen der Eltern und nahen Verwandten, die unterschwellig ergründen wollen, ob das, was man mache, denn auch wirklich „sicher“ sei. Meine Mutter schickte mir bis vor Kurzem noch Stellenausschreibungen für „feste“ Jobs. Wie kann ich als Gründer darauf reagieren? Ein Versuch in Briefform.
Liebe Mama,
vielen Dank für deine E-Mail mit der Stellenausschreibung bei der Stadtverwaltung. Wie du weißt, habe ich mich bei den letzten Ausschreibungen die du mir zugesendet hast, beworben. Ich wurde dabei nicht ein einziges Mal eingeladen, obwohl ich wie du davon ausging, dass ich die Anforderungen mit meinem Studium und meiner bisherigen Erfahrung mehr als erfülle. Vielleicht hat es ja mein Foto nicht geschafft und ich hätte mir meinen komischen Bart abrasieren sollen, aber eigentlich sollten die doch meine Qualifikationen als Auswahlkriterium nehmen.
Das mit den Bewerbungen ist aber gar nicht so schlimm, denn ich habe ja eine Arbeit. Es tut mir leid, wenn ich bisher nicht in der Lage war, diese zu erklären. Ein bisschen lebe ich da in meiner eigenen Welt und habe vergessen, dass das, was ich tue, ja noch recht neu ist. So richtig klar umreißen kann ich das selbst nicht. Neudeutsch bezeichnet man Menschen wie mich als „Entrepreneure“. Allgemein gesagt, gründe ich gerade mein eigenes Unternehmen. Darin möchte ich Probleme lösen, auf die ich im Alltag so stoße. Noch sammle ich Ideen und probiere verschiedene Dinge aus. Mein Geld verdiene ich in der Zwischenzeit als Selbstständiger mit der Entwicklung von Internetseiten.
Auch wenn es manchmal so klingt, aber so abgehoben und weltfremd ist das Thema meiner Arbeit gar nicht. Du benutzt das Internet ja selbst, wenn du E-Mails schreibst, Wissen in der Wikipedia nachschlägst oder Bücher einkaufst. Ich kümmere mich aktuell darum, dass kleine und mittelständische Unternehmen Webseiten bekommen oder Online-Shops funktionieren. Andere Gründer und Selbstständige entwickeln Anwendungen für das Smartphone, kreieren schöne Layouts oder produzieren Texte, die andere gerne lesen. Das Internet ist ein toller Ort, der das Leben vieler Menschen bereichert. Wir schaffen also etwas Positives auch wenn wir nichts produzieren, was man in die Hand nehmen kann.
Wenn wir uns wiedermal unterhalten und du fragst was ich mache, dann ist das häufig etwas neues. Das heißt jedoch nicht, dass ich meine „Arbeit“ hingeschmissen habe. Meine Tätigkeiten ändern sich nur mit jedem Auftrag. Dadurch bleibt meine Arbeit weiter spannend und ich bin motiviert. Ich lerne dabei ständig etwas dazu und viele Leute kennen, was dazu beiträgt, dass ich auch weiterhin zu tun habe. Meine „Arbeit“ ist also nichts festes. Vielmehr nennt es sich „Arbeit in Projekten“.
Arbeit in Projekten, das trifft schon deine Vorstellung von Unsicherheit. Ich weiß nie, wann das nächste Projekt kommt oder ob nicht ein Projekt spontan abgesagt wird. Im Moment habe ich aber mehr Anfragen als ich bearbeiten kann und mache mir für die nächsten Monate keine Sorgen. Letztendlich sind auch die meisten Stellenausschreibungen heutzutage zeitlich auf ein oder zwei Jahre begrenzte Projekte. Das trifft besonders auf die zu, für die ich eigentlich mal Geisteswissenschaften studiert habe. Und kann ich nicht auch in einem festen Angestelltenverhältnis gekündigt werden?
Ein Vorteil von Projekten ist, dass ich weiß, wofür ich es mache. Damit meine ich nicht das Geld, das ich dabei natürlich auch verdiene. Projekte haben meist ein bestimmtes Ziel. In meinem Fall steht am Ende eine informative Webseite, ein gut sortierter Online-Shop, eine erfolgreiche Marketingkampagne oder eine andere Funktion. Jedes beendete Projekt ist ein Erfolg und motiviert mich zum Weitermachen. Ich frage mich nicht ständig, wann der unendliche Stapel auf meinem Schreibtisch geringer wird oder muss einer eintönigen Tätigkeit nachgehen. Ich kann mir regelmäßig auf die Schulter klopfen und sehe teilweise täglich das nahe Ziel vor Augen.
Im Moment überwiegt für mich der Vorteil von Projekten. Es gibt keine Hierarchie, keinen Chef und keine Streitereien mit Kollegen. Natürlich habe ich Kunden und damit eine Art von Chefs. Aber da ich mir meine Kunden aussuchen kann, passe ich schon sehr auf, dass die Chemie stimmt. Klagen über verständnislose Vorgesetzte kenne ich nur vom Hörensagen. Und wenn mal etwas nicht stimmt, dann spreche ich es selbstbewusst an.
Da ich nie nur an einem Projekt gleichzeitig arbeite, falle ich weich, wenn ein Projekt dann doch mal frühzeitig für mich endet. Gleiches trifft auf meine „Kollegen zu“. Das sind sehr oft Menschen, die wie ich als Selbstständige arbeiten. Die sind ebenso begeistert von dem, was sie tun und so stecken wir uns gegenseitig an, tauschen uns aus und lernen voneinander.
Das Lernen ist überhaupt ein großer Vorteil meiner Arbeitsweise. Durch die verschiedenen Kunden treffe ich auf immer neue Anforderungen. Das belastet nicht, sondern bereichert mich. Wenn ich etwas wirklich nicht kann, dann habe ich genug Kollegen, die mir dabei helfen können. Ich muss aber keinen Antrag schreiben, wenn ich eine Schulung besuchen will und kann frei entscheiden, was ich wann lernen möchte. Durch meinen breiten Erfahrungsschatz profitieren auch meine Kunden mehr, als wenn ich als fester Programmierer bei ihnen arbeiten würde. Zudem löse ich ja nicht nur ihre technischen Probleme, sondern helfe gerne mit Ratschlägen und Lösungen weiter, die ich in anderen Projekten erlebt habe.
Da ich mein Wissen ständig ausbaue, kann ich mehr Aufgaben für Kunden übernehmen. Dadurch werden Projekte größer und ich kann noch besser planen. Wenn ich dann mal nicht mehr als Programmierer arbeiten kann oder möchte, ist es für mich leichter, auf ähnliche Bereiche umzusteigen. Nur, wenn das Internet komplett abgeschafft werden würde, hätte ich ein großes Problem. Aber eher werden wohl Schulen oder Universitäten geschlossen, Stellen in der Verwaltung abgebaut, gehen alle großen Konzerne in die Insolvenz oder wird die Stelle des Bundespräsidenten gestrichen.
Was dich sicher auch verunsichert sind meine fehlenden Arbeitszeiten. Schon am frühen Nachmittag habe ich Zeit mich zum Kaffee mit dir zu treffen und gleichzeitig arbeite ich auch am Samstag. Natürlich machen auch Angestellte Überstunden, doch ich gebe zu, dass es bei mir zur Regelmäßigkeit gehört. Doch weil mir meine Arbeit so viel Spaß macht und ich darüber hinaus noch mit Begeisterung an eigenen Projekten arbeite, macht mir das meistens nichts aus. Und wenn ich mich entscheiden sollte doch etwas kürzer zu treten, dann lasse ich ein paar Projekte ruhen oder auslaufen und tue es einfach. Wenn ich will, kann ich mich auch für einen Monat ins Ausland verabschieden und von dort arbeiten. Die meisten Kunden sehen mich eh nicht mehr als ein Mal im Quartal und würden das kaum bemerken.
Letztendlich ist das, was ich tue, nicht neu. Handwerker, Anwälte, Ärzte oder Hebammen arbeiten oft als Freiberufler oder Selbstständige und müssen sich mal mehr mal weniger behaupten. Sie gehören zum Alltag und keiner fragt sich mehr, warum sie nicht angestellt sind.
Bitte verstehe mich nicht falsch. Ich freue mich weiterhin sehr darüber, dass du dir Sorgen und Gedanken machst und hoffe nicht, dass sich das ändert. Du kannst aber beruhigt sein, dass ich nicht nur in den Tag hinein lebe und die vielen Möglichkeiten des Lebens ungenutzt lasse. Genau diese Freiheit habe ich nämlich mit dem, was ich tue.
Dein Thomas
PS: danke, dass du meinen Brief auf Facebook geteilt hast und damit anderen Müttern von Selbstständigen hilfst