Vor ein paar Jahren gab es in Mecklenburg-Vorpommern eine Kampagne mit dem Titel „einfach „anfangen“. Praktisch stand hinter diesem Titel der Gedanke, dass man mit dem Gründen nicht zu lange warten sollte. Folglich wurden Gründer präsentiert, die ihre Ideen vom eigenen Unternehmen einfach in die Hand nahmen. Kritiker sahen darin aber die Gefahr, dass die Gründung zu einfach und unproblematisch dargestellt wurde und der ein oder andere vielleicht zu früh die sichere Anstellung verlassen hat.
Einfach mal praktisch denken
Ich erinnere mich an diese Kampagne, weil der Titel eine der wichtigsten Lektionen meines Gründerlebens beinhaltet. Zusammen mit zwei Mitstreitern habe ich im August 2009 mit der Entwicklung einer Anwendung begonnen, die das Übersetzen von Speisekarten automatisieren sollte. In der Anfangsphase haben wir über ein Förderprogramm einige Coachingleistungen erhalten und waren entsprechend umringt von Beratern. Der wichtigste Hinweis kam aber nicht von einem Berater sondern von einem Unternehmer, mit dem wir uns zum Kaffee verabredet hatten.
„verkauft doch mal Übersetzungen“
Wir wollen also ein hochkomplexes Produkt entwickeln und da kommt jemand daher und sagt, wir sollen Übersetzungen verkaufen. Das hat im ersten Moment irritiert, im zweiten und bis heute aber erleuchtet.
Grundsätzlich wurde uns nichts anderes empfohlen als die theoretische Ebene zu verlassen und in den Markt zu gehen. Der Grundgedanke lag darin, dass es unseren Kunden egal war, woher die Übersetzungen kamen.
Mensch, ist das hart
Wir waren in vielen Dingen unwissend und naiv, aber klug genug diesem Ratschlag zu folgen. Wir haben also angefangen, den Hörer in die Hand zu nehmen, E-Mails und Briefe zu schreiben. Dabei stellten wir schnell fest, dass Vertrieb verdammt hart ist und dass den Kunden egal ist, woher die Übersetzungen kommen, wenn sie gut und günstig sind. Ebenfalls wurde uns schnell klar, dass der Teilmarkt, den wir uns zunächst ausgesucht hatten, nicht das Potential hatte, unseren ursprünglichen Ansatz wirtschaftlich zu machen.
In der Folge dieser Erfahrung haben wir versucht, unser Angebot so zu vereinfachen, dass die Meilensteine kürzer werden und wir früh etwas verkaufen können. Aus diesem Lernprozess ging www.die-wortretter.de hervor, ein Angebot zur Übersetzung von Speisekarten. Der Clou daran war, dass wir zwei Preismodelle hatten. Eines davon berücksichtigte wiederkehrende Übersetzungen und bot diese zu einem günstigeren Preis an. Somit müssen unsere Kunden nicht immer bei kleinen Veränderungen ihrer Speisekarte erneut den vollen Preis bezahlen.
Mit diesem Angebot konnten wir nicht nur eine Deckung unserer laufenden Kosten erreichen, sondern es auch als Prototypen potentiellen Investoren und Partnern vorstellen.
Gründen ist ein Lernprozess. Entsprechend schauen wir irgendwann alle mit unseren gesammelten Erfahrungen zurück und wünschen uns, dass wir es damals besser gewusst hätten. In unserem Fall sind durch langes Herumexperimentieren und Ignoranz gegenüber der realen Nachfrage gut und gerne über 100.000€ in den Erfahrungsgewinn und nicht in das Endprodukt geflossen. Als zunächst unerfahrene Gründer musste uns das zwar mal passieren, aber natürlich spekuliere ich ab und zu was jetzt wäre, wenn wir mit dem Wissen von heute nochmal anfangen könnten.
Lean Startup
Wie ich später lernte, handelt es sich bei dem Ansatz kurzer Entwicklungszyklen mit möglichst frühem Markteintritt um das Prinzip von Lean Startup. Das geht etwas entgegen der deutschen Ingenieursmentalität und dem Perfektionismus und hohen Anspruch, den wir so mit uns herumtragen. Die Aufforderung besteht darin, so früh wie möglich einen noch so kleinen Mehrwert zu schaffen und diesen auf dem Markt anzubieten. Dabei geht es mehr um frühes Feedback als um Umsatz. Jeder Gründungserfahrene wird wissen, dass sich daraus immer neue Chancen ergeben, die man im Vorfeld nicht absehen konnte. Auf der anderen Seite kann man schnell korrigieren, wenn der eingeschlagene Weg nicht der richtige ist.
Abschließend möchte ich noch einige Beispiele für schnellen Markteintritt aus meinem Gründerleben nennen:
WordPress statt Eigenentwicklung: WordPress ist eigentlich ein Blog-CMS, aber wir haben es als Grundlage für ein Branchenverzeichnis genutzt. Damit konnten wir dieses praktisch in 2 Monaten starten und uns auf das Marketing konzentrieren. Nach dem proof of concept haben wir das System dann anhand der Erfahrungen neu programmiert.
Dummy statt volle Funktion: Wir haben die Übersetzung mit Hilfe unseres „Programmes“ angeboten. Damit wollten wir die Akzeptanz einer automatisierten gegenüber einer manuellen Lösung prüfen. In der Realität wurde weiterhin manuell übersetzt.
In vielen Fällen zählt für die Kunden das Ergebnis, nicht der Weg. Für uns Entwickler ist das meist andersrum. Wer sich aber auf den Kunden konzentriert merkt schnell, dass viele Dinge nicht perfekt sein müssen, wenn das Ergebnis stimmt.
Wie fangt ihr an?
Jetzt interessiert mich, wie ihr euer Startup begonnen habt. Musste alles perfekt sein oder habt ihr es mit einem Dummy probiert? Welche negativen Seiten seht ihr bei Lean Startup? Ich freue mich auf eure Kommentare.